Protagonisten
Wie bereits in meinem letzten Dokumentarfilm, möchte ich das Leben meiner Protagonisten über mehrere Monate hinweg filmen. Entscheidend sind für mich die Momente der Ehrlichkeit, die nur durch ein Vertrauensverhältnis zwischendurch aufblitzen können.

Simone* (12) ist seit vier Jahren im Heim, weil sie nicht mehr zur Schule ging und mit der Polizei in Konflikt kam. Bereits ihre Mutter und ihre Grossmutter sind in Heimen aufgewachsen und mussten wiederum ihre eigenen Kinder ins Heim geben, weil sie jung Mutter wurden und mit ihrer Aufgabe überfordert waren. Simone ist frühreif und nimmt heimlich die Pille, weil sie keine Lust hat  schwanger zu werden.   
"Ich habe mit sieben meine erste Zigarette, mit acht mein erstes Bier probiert, aber meine Mutter merkte das nicht, weil sie selber Alkoholikerin ist. .... Das erste, das sie dir hier im Heim sagen ist, dass es hier ein Zuhause auf Zeit sei. Jetzt weiss ich, was das heisst: Du bist eigentlich nirgends zuhause."

Johann* (14) ist Schweizer. Seine Mutter ist drogenabhängig und hatte ihn stark vernachlässigt. Johann ist mehrmals wegen Diebstahl, Nötigung und Bestechung mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Er hasst das Leben im Heim und hat es sich vorgenommen zu seiner Mutter zurückzukehren, weil er sich davon mehr Freiheiten verspricht. Der Anwalt seiner Mutter will vor Gericht durchsetzen, dass Johann wieder bei seiner Mutter wohnen kann.
"Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und noch einmal neu anfangen. Ich möchte ein normaler 16-jähriger Junge sein, in die Schule gehen, zu Hause gemeinsam mit Mutter und Vater fernsehen und mit meiner Familie am Esstisch sitzen - anstatt mit sieben Jugendlichen und drei Sozialpädagogen."

Jenny* (16) stammt aus Brasilien und ist immer sehr um ihr Äusseres besorgt, ihr Vorbild ist Jennifer Lopez. Ihre Mutter kam vor 16 Jahren in die Schweiz und heiratete einen Schweizer, mit dem sie einen Sohn hat. Jenny hat ihren leiblichen Vater seit Jahren nicht gesehen und konnte ihren Stiefvater als Autoritätsperson nicht akzeptieren. Sie schwänzte die Schule und trieb sich herum. Die Mutter fühlte sich mit Jenny überfordert und beantragte die Einweisung ins Heim. Seit sie im Heim ist, hat Jenny Fortschritte in der Schule gemacht. Sie besucht ihre Eltern und ihren kleinen Bruder jedes Wochenende. Das Heimleben ist empfindet sie nur als erträglich, weil sie ihre beste Freundin Giulia dort kennengelernt hat. 
"Ich finde es hier im Heim zum kotzen, hier ist es schlimmer als im Kloster. Du darfst niemanden ins Zimmer nehmen, bist dauernd unter Kontrolle. Ich habe keine Lust, mir von den Sozialpädagogen Dinge sagen zu  lassen, die mir eigentlich meine Mutter und mein Vater sagen müssten".

Giulia* (15) ist Jennifers beste Freundin. Ihre Mutter ist Dominikanerin, ihr Vater Italiener, sie hat ihn aber nie kennengelernt. Giulia hat Unaussprechliches erlebt und hat den Kontakt zu ihrer Mutter völlig abgebrochen. Trotz der schrecklichen Dinge, die sie durchmachen musste, hat Giulia Lebensfreude und Herzlichkeit bewahrt und besitzt einen umwerfenden Charme.
"Ich sage den Leuten, dass ich im Waisenhaus wohne, das ist viel besser, als Heim oder Anstalt, wie es früher hiess. Wenn wir Heim sagen, da kommen alle diese Fragen: wieso und warum. Wenn ich Waisenhaus sage, glauben die Leute, sie wissen Bescheid und lassen mich in Ruhe. Kischtli finde ich auch ganz gut, aber das sagt heute niemand mehr, nur noch die alten Ehemaligen."

Tina* (13) stammt aus dem Kosovo und musste verdeckt plaziert werden, weil sie von ihrer Familie mit starken Repressionen hätte rechnen müssen. Sie ist eine wunderbare Tänzerin und hilft einem Tanzlehrer, der auf dem Waisenhaus-Areal Volkstänze unterrichtet, beim Unterrichten.
"Mir gefällt es hier im Waisenhaus, ich fühle mich wohl hier, viel wohler als Zuhause, da gab es immer nur Streit, besonders mit meinem Vater. Nur Schwester und meinen kleinen Bruder vermisse ich manchmal."

Ronaldo* (16) stammt aus der Dominikanischen Republik. Seine Mutter hat einen Schweizer geheiratet und Ronaldo hat einen kleinen Bruder, den er über alles liebt. Ronaldo war früher in einer Gang, mit der er sich jeden Tag herumtrieb und Schule schwänzte. Seine Mutter sah sich dadurch gezwungen, von Dritten Hilfe zu holen. Jetzt sagt er, dass er manchmal seine Clique vermisse, ist aber zugleich froh, dass er nicht mehr drin stecke. Er ist ein ausserordentlich begabter Tänzer und Sänger und möchte Automechaniker werden. Bei der Aufnahmeprüfung glänzte er mit Detailwissen über Automechanik und beeindruckte die Prüfungsexperten.
"Zum Glück habe ich etwas gefunden, das mir wirklich Spass macht: Breakdance und  Rap".

(* alle Namen wurden geändert)

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